Was bedeutet unterlassene Hilfeleistung – und wann ist sie strafbar?
Der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) betrifft grundsätzlich jeden Menschen. Für Pflegekräfte gilt jedoch eine sogenannte Garantenstellung: Sie sind berufsbedingt zur Hilfe verpflichtet. Aber:
- Nicht jede unterlassene Handlung ist strafbar.
- Es muss eine akute Notlage vorliegen, in der Hilfe objektiv erforderlich und zumutbar war.
- Medizinische Entscheidungen, die fachlich vertretbar sind, gelten nicht als strafbares Unterlassen.
Was bedeutet Garantenstellung konkret für Pflegekräfte?
Pflegekräfte haben eine sogenannte Garantenstellung, das heißt: Sie sind rechtlich verpflichtet, in bestimmten Situationen aktiv zu helfen. Diese Pflicht ergibt sich aus ihrer beruflichen Rolle und dem besonderen Vertrauensverhältnis zu den ihnen anvertrauten Patienten. Konkret bedeutet das:
- Sie müssen bei erkennbaren Notlagen eingreifen, sofern es ihnen möglich und zumutbar ist.
- Sie dürfen nicht untätig bleiben, wenn ein Patient akut gefährdet ist.
- Die Garantenstellung gilt während der Dienstzeit und in Situationen, in denen sie für die Versorgung zuständig sind.
Wichtig: Die Garantenpflicht endet nicht automatisch mit Schichtende – etwa bei Übergaben muss sichergestellt sein, dass die Verantwortung klar übertragen wurde.
Häufige Missverständnisse und unbegründete Vorwürfe
Viele Anzeigen entstehen aus emotionaler Überforderung oder Unkenntnis. Typische Missverständnisse:
- „Niemand hat mir geholfen“ – obwohl Hilfe geleistet wurde, aber nicht so, wie es sich der Patient vorgestellt hat.
- „Die Pflegekraft hat mich ignoriert“ – obwohl sie gerade mit einer anderen kritischen Situation beschäftigt war.
- „Ich musste lange warten“ – Wartezeiten sind kein Straftatbestand, solange keine akute Gefahr bestand.
Typische Konstellationen
Pflegekräfte erleben täglich Situationen, die juristisch missverstanden werden können. Hier einige Beispiele:
- Sturz im Zimmer, Pflegekraft ist gerade bei einem anderen Patienten → Keine Strafbarkeit, wenn die Pflegekraft nach Kenntnisnahme angemessen reagiert und zuvor keine Pflichtverletzung vorlag.
- Patient klagt über Schmerzen, aber ärztliche Anordnung fehlt → Pflegekräfte dürfen nicht eigenmächtig handeln. Die Verantwortung liegt beim Arzt – keine unterlassene Hilfeleistung.
- Notruf wird ausgelöst, aber technische Probleme verzögern die Reaktion → Technisches Versagen ist keine persönliche Schuld. Dokumentation und Meldung sind hier entscheidend.
- Aggressiver Patient verweigert Hilfe → Hilfeleistung darf nicht unter Zwang erfolgen. Bei Eigengefährdung ist Rückzug zulässig.
Diese Konstellationen zeigen: Nicht jede schwierige Situation ist juristisch relevant – aber sie sollte dokumentiert und kommuniziert werden.
Was tun bei falschem Verdacht?
Sofortmaßnahmen:
- Ruhe bewahren und dokumentieren Notieren Sie den Vorfall, Ihre Maßnahmen und den zeitlichen Ablauf. Eine lückenlose Dokumentation ist Ihr bester Schutz.
- Vorgesetzte informieren Melden Sie den Vorwurf frühzeitig Ihrer Stationsleitung oder dem Träger. So kann intern geprüft und reagiert werden.
- Rechtliche Unterstützung suchen Bei einer Anzeige empfiehlt sich die Einschaltung eines Anwalts, idealerweise mit Erfahrung im Medizin- oder Strafrecht.
- Keine eigenmächtigen Aussagen gegenüber Polizei oder Presse Äußern Sie sich erst nach Rücksprache mit rechtlichem Beistand.
Was tun, wenn Kolleginnen oder Kollegen belastet werden?
Auch wenn man selbst nicht betroffen ist, kann es belastend sein, wenn Kolleginnen oder Kollegen unter Verdacht geraten. So verhalten Sie sich rechtssicher und solidarisch:
- Keine Vorverurteilung: Wahren Sie die Unschuldsvermutung – auch intern.
- Unterstützung anbieten: Hilfe bei der Dokumentation, Gesprächsangebote oder Begleitung zu Terminen können entlasten.
- Zeugenaussagen sorgfältig vorbereiten: Falls Sie als Zeuge benannt werden, dokumentieren Sie Ihre Wahrnehmungen präzise und neutral.
- Keine Spekulationen oder Gerüchte verbreiten: Das kann rechtlich problematisch und menschlich verletzend sein.
- Führungskräfte einbeziehen: Bei Unsicherheiten oder Konflikten sollte die Leitung frühzeitig informiert werden.
Ein gutes Team schützt sich gegenseitig – durch Transparenz, Kommunikation und rechtssicheres Verhalten.
So schützen Sie sich präventiv
- Dokumentieren Sie Ihre Maßnahmen zeitnah und vollständig.
- Kommunizieren Sie klar mit Patienten und Angehörigen, insbesondere bei Verzögerungen oder Priorisierungen.
- Holen Sie bei Unsicherheiten Rücksprache mit ärztlichem Personal oder Vorgesetzten ein.
- Vermeiden Sie Alleingänge in kritischen Situationen.
Das sollten Sie wissen
- Eine Anzeige bedeutet nicht automatisch ein Strafverfahren. Die Staatsanwaltschaft prüft zunächst, ob ein Anfangsverdacht besteht.
- Pflegekräfte genießen grundsätzlich Vertrauen – aber sie müssen es durch professionelle Kommunikation und Dokumentation absichern.
- Auch bei emotional belastenden Vorwürfen gilt: Sie haben Rechte und müssen sich nicht alles gefallen lassen.
Fazit
Pflegekräfte tragen Verantwortung, aber sie sind keine juristischen Freiwild. Wer professionell handelt, dokumentiert und kommuniziert, schützt sich wirksam vor falschen Vorwürfen. Im Ernstfall gilt: Ruhe bewahren, Unterstützung suchen und die eigenen Rechte kennen. So bleiben Sie handlungsfähig – auch unter Druck.
Wenn Sie als Pflegekraft mit einem Vorwurf konfrontiert sind oder präventiv Ihre rechtliche Absicherung verbessern möchten, stehe ich Ihnen gerne für eine individuelle Beratung zur Verfügung. Gemeinsam klären wir, wie Sie sich schützen und Ihre Position stärken können.



