Strafrechtliche Einordnung: Was zählt als sexueller Missbrauch?
Der Begriff „sexueller Missbrauch“ umfasst verschiedene Straftatbestände im Strafgesetzbuch (StGB), insbesondere:
- § 176 StGB: Sexueller Missbrauch von Kindern
- § 177 StGB: Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung
- § 182 StGB: Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
Wichtig: Auch wenn keine körperliche Gewalt angewendet wurde, kann ein sexueller Übergriff vorliegen – etwa bei Ausnutzung eines Überraschungsmoments oder psychischer Zwangslage.
Strafrechtliche Folgen für Täter
Wer wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wird, muss mit empfindlichen Strafen rechnen:
- Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr, bei schweren Fällen bis zu 15 Jahren
- Eintrag ins Bundeszentralregister (Führungszeugnis)
- Berufsverbot, insbesondere bei Tätigkeiten mit Kindern oder Jugendlichen
- Meldepflichten und Führungsaufsicht nach der Haft
In besonders schweren Fällen – etwa bei Wiederholungstätern oder bei Missbrauch mit Todesfolge – kann auch die Sicherungsverwahrung angeordnet werden.
Verjährung bei sexuellem Missbrauch – Wann ist es zu spät?
Ein weitverbreitetes Missverständnis ist, dass eine Anzeige nur kurz nach der Tat möglich sei. Tatsächlich gelten bei sexuellem Missbrauch verlängerte oder sogar ausgesetzte Verjährungsfristen:
- Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beginnt die Verjährung oft erst mit Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers (§ 78b StGB).
- Die Verjährungsfrist selbst richtet sich nach der Höhe der angedrohten Strafe und kann bis zu 20 Jahre betragen.
- In besonders schweren Fällen (z. B. Missbrauch mit Todesfolge) kann die Tat sogar unverjährbar sein.
Praxis-Tipp: Auch wenn die Tat lange zurückliegt, lohnt sich eine rechtliche Prüfung. Viele Betroffene erfahren erst Jahre später, dass sie juristisch aktiv werden können.
Rechte und Schutz für Opfer: Was tun nach der Tat?
Opfer sexueller Gewalt stehen nicht allein da. Das deutsche Recht bietet umfassende Schutzmechanismen und Unterstützungsangebote:
Anzeige erstatten – aber wie?
- Möglich bei jeder Polizeidienststelle oder Staatsanwaltschaft
- Auch anonym über Online-Wachen oder Beratungsstellen
- Keine Pflicht zur Aussage – aber eine Aussage kann das Verfahren entscheidend voranbringen
Opferrechte im Strafverfahren
- Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung (§ 406g StPO)
- Anspruch auf Nebenklage (§ 395 StPO) – aktive Beteiligung am Verfahren
- Akteneinsicht über den Anwalt
- Anspruch auf Dolmetscher und barrierefreie Kommunikation
Schutzmaßnahmen
- Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Hauptverhandlung (§ 171b GVG)
- Zeugenschutzprogramme bei Gefährdung
- Kontaktverbot und Näherungsverbot gegenüber dem Täter
Psychologische Folgen und rechtliche Hilfen
Sexueller Missbrauch hat oft tiefgreifende psychische Folgen – von Angstzuständen über Depressionen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Das Rechtssystem erkennt diese Belastungen an und bietet konkrete Hilfen:
- Anspruch auf Schmerzensgeld (§ 253 BGB) bei nachgewiesenen psychischen Schäden
- Kostenübernahme für Therapien über das Opferentschädigungsgesetz (OEG)
- Möglichkeit der psychosozialen Prozessbegleitung – speziell geschulte Fachkräfte begleiten Betroffene durch das Verfahren
- Beratungsstellen wie der Weiße Ring oder Frauennotrufe bieten niedrigschwellige Hilfe und Vermittlung zu Fachtherapeuten
Wichtig: Die psychische Stabilisierung ist nicht nur menschlich wichtig, sondern kann auch die Aussagefähigkeit im Verfahren stärken.
Zivilrechtliche Ansprüche gegen den Täter
Neben dem Strafverfahren können Betroffene auch zivilrechtlich gegen den Täter vorgehen:
- Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen erlittenem Leid und Folgekosten
- Ersatz von Therapiekosten, Verdienstausfall oder Umzugskosten
- Möglichkeit der Pfändung bei verurteilten Tätern – auch bei Ratenzahlung oder Vermögensübertragung
Hinweis: Zivilrechtliche Ansprüche verjähren grundsätzlich nach drei Jahren (§ 195 BGB), beginnen aber oft erst mit Kenntnis von Tat und Täter. In Fällen sexuellen Missbrauchs gelten häufig verlängerte Fristen.
Häufige Missverständnisse – und warum sie gefährlich sind
Viele Betroffene zögern, Anzeige zu erstatten – oft aus Unsicherheit oder Angst vor Vorurteilen. Hier einige verbreitete Irrtümer:
- „Ich habe mich nicht gewehrt, also war es keine Vergewaltigung.“ – Falsch. Auch passives Verhalten kann ein Übergriff sein.
- „Es ist zu spät für eine Anzeige.“ – Falsch. Die Verjährungsfrist beginnt oft erst mit dem 30. Lebensjahr des Opfers.
- „Ohne Zeugen bringt das nichts.“ – Falsch. Aussage gegen Aussage ist juristisch zulässig und kann zur Verurteilung führen.
Checkliste für Betroffene: So machen Sie es richtig
Wenn Sie selbst betroffen sind oder jemandem helfen möchten, beachten Sie folgende Schritte:
- Sichern Sie Beweise (Kleidung, Nachrichten, ärztliche Dokumentation)
- Suchen Sie medizinische Hilfe – auch zur Spurensicherung
- Kontaktieren Sie eine Beratungsstelle (z. B. Weißer Ring, Frauennotruf)
- Lassen Sie sich rechtlich beraten – idealerweise durch einen Anwalt für Strafrecht
- Prüfen Sie die Möglichkeit einer Nebenklage oder Prozessbegleitung
Fazit
Sexueller Missbrauch hinterlässt Spuren – doch das Recht bietet Schutz, Gerechtigkeit und Hilfe. Ob strafrechtliche Verfolgung, zivilrechtliche Ansprüche oder psychologische Unterstützung: Betroffene haben mehr Möglichkeiten, als oft angenommen. Der wichtigste Schritt ist, sich zu informieren und Unterstützung zu holen. Denn es ist nie zu spät, für sich selbst einzustehen.



